Wo der Asphalt lebt

Auf der Straße der Freundschaft

Für Manche ist sie das achte Weltwunder. Für Europäer mit Abenteuerlust eine Herausforderung. Die höchste öffentliche Straße der Welt. 1.300 Kilometer lang führt sie von Islamabad, der Hauptstadt Pakistans zur Oase Kashgar im Nordwesten Chinas. Der Khunjerab-Pass ist mit 4.700 Metern die höchste Erhebung auf dieser Strecke, die durch tief eingeschnittene Canyons im Schatten der höchsten Gebirge der Welt verläuft: Pamir, Hindukush, Karakorum und Himalaya tuermen sich rechts und links zu mächtigen Bergketten auf. Insgesamt 33 Gipfel _ allesamt Sechs-, Sieben-, und Achttausender - liegen hier in greifbarer Nähe. Die Straße zieht sich durch wüstenhafte Ebenen und fruchtbare Hochtäler, dann wieder durch tiefe Schluchten und vorbei an riesigen Gletschern. Sie ist einfach ein Traum und für Radfahrer eine sportliche Herausforderung, die ihresgleichen sucht. Die Straße _ das ist der Karakorum Highway, die legendäre Verbindung zwischen Pakistan und China. Highway _ das klingt zwar wie eine Schnellstraße, aber in Wirklichkeit ist der KKH nicht mehr als ein asphaltierter Weg. Die Fahrbahn ist so schmal, dass an manchen Stellen kaum zwei Autos nebeneinander passen. Aber dennoch _ der Karakorum Highway ist eines der spektakulärsten Bauwerke in der Geschichte des Straßenbaus.

Ralf Kropp ist die 1.300 Kilometer lange Straße im Frühjahr 2001 mit dem Rad gefahren. Dieses Buch ist sein Bericht über Strapazen und Erlebnisse seiner Reise, ein Bilderbuch, das Brücken baut. Brücken zu einem der landschaftlich interessantesten Reiseziele der Welt mit kulturellen Wurzeln, die bis in das dritte Jahrtausend vor Christus zurück gehen.


  • Der Karakorum Highway
  • Islamabad - Kashgar

Wer ein Kamel liebt, muss sich mit seinen Höckern abfinden."

Arabisches Sprichwort

Warum ich ausgerechnet nach Pakistan gefahren bin? Ob ich keine Angst hatte, an diesem Krisenherd mit dem Fahrrad herum zu fahren? Was mich an einem Land reizt, in dem Frauen noch heute unterdrückt werden und praktisch ohne Rechte sind? Fragen wie diese sind mir oft gestellt worden _ eine befriedigende Antwort kann ich darauf nicht geben. Ich weiß nur eines _ der Karakorum Highway ist ein Ziel, dass jeden Tourenfahrer reizt. Diese Reise musste ich einfach unternehmen. Ohne eine Antwort auf die Frage

nach dem Warum. Ich wollte sie kennen lernen, diese Straße der Freundschaft. Und so fuhr ich los. Einfach los. Eigentlich sogar ziemlich schlecht vorbereitet: Am letzten Tag erst wurde gepackt. Ich hatte noch keine Reisekrankenversicherung, keine Medikamente gegen Durchfall oder Höhenkrankheit, keine Filme und auch noch keinen Rückspiegel besorgt. Mein Zug fuhr bereits früh am Morgen und ich wusste noch nicht einmal, ob sie mein Fahrrad, dass ich in ein altes Zelt gepackt hatte, mitnehmen. Das alles bereitete mir eine schlaflose Nacht. Allerdings ganz umsonst. Denn es lief alles glatt. Im ICE gab es keine Schwierigkeiten und alles, was mir für die Reise noch fehlte, konnte ich in Frankfurt besorgen. 10 kg Satteltaschen, 11 kg wiegt mein Hightech Mountainbike von Winora und 15 kg Handgepäck aber selbst das Einchecken mit dem vielen Gepäck klappte reibungslos.



Pakistan _ Islamabad. Der Flieger ist gelandet und hat mich in einem fremden Land ausgespuckt. Die Zeit hat sich um drei Stunden verschoben. Jetzt stehe ich auf dem Flughafen und warte am Förderband auf mein Rad. Ich werde schon unruhig, als endlich das letzte Gepäckstück um die Ecke kommt _ mein Fahrrad. Heil und unversehrt. Sofort stürze ich mich in den dichten Verkehr. Am besten gleich raus aus der Stadt. Wie viele Hauptstädte der Welt ist auch Islamabad-Rawalpindi ein Moloch. Das Erste, was mir auffällt: in Pakistan herrscht Linksverkehr. Letzte Spuren davon, dass dieses Land ehemals eine englische Kolonie war. Muss ich beim Fahren auch höllisch aufpassen - bei der Verständigung kommt mir das zu Gute. Amtssprache ist zwar Urdu, aber Handelssprache ist Englisch. Ich werde also verstanden. Zumindest hier in der Landeshauptstadt. Unterwegs wird das ganz sicher nicht immer so sein. Denn entlang des Karakorum Highways leben viele verschiedene Volksgruppen, die sich oftmals noch nicht einmal untereinander verstehen. So unterschiedlich wie die Landschaften, die mich erwarten, so unterschiedlich sollen auch die Menschen sein, die hier leben. Tatsächlich wird es mir alle hundert Kilometer so vorkommen, als führe ich grenzen

  • Straßenszene in Rawalpindi

los von einem Staat zum Nächsten. Kaum werde ich mich an eine bestimmte Sprachmelodie gewöhnt haben, werden sich meine Ohren schon wieder an eine neue Sprache oder zumindest an einen neuen Dialekt gewöhnen müssen. Wie kann ich da erwarten, dass englisch verstanden wird? Aber auf meinen vielen Touren habe ich längst gelernt, dass ein Lächeln auf dem Gesicht, dass Freundlichkeit überall auf der Welt verstanden wird. Und dann gibt es ja auch noch die Sprache mit Händen und Füßen.

  • Straßenrestaurant



Rihlat al alf mil tabda bikatwa _

Eine Reise von Tausend Meilen fängt mit dem ersten Schritt an.

Arabisches Sprichwort

Der Verkehr ist dicht. Dicke, schwarze Rußwolken hüllen mich ein. Aber die Straße ist in unerwartet gutem Zustand. Viele Lkw's fahren hier mit 40 _ 60 km/h entlang. Ich brauche nur kurz anzutreten und kann mich dann in ihren Windschatten hängen. Oft habe ich nicht mehr als 50 cm Abstand. Ein bisschen mulmig ist mir dabei schon. Zumal mein Helm tatsächlich noch Zuhause am Kleiderständer baumelt. Ich vermute jedoch, dass die Bremsen dieser alten Laster viel schlechter sind als meine neuen Fahrradbremsen. Demnach wäre die Gefahr, angesichts der unzähligen Überholmanöver bei einer langsameren Geschwindigkeit unter die Räder zu kommen, noch viel größer. Mutig fahre ich also meinen Kurs weiter und habe so bereits nach einer Stunde die ersten 40 Kilometer hinter mir. Die erste größere Stadt nach Islamabad, die ich passiere ist Taxila. Einst ein strahlendes Zentrum der Religion. Hier lebten und lehrten buddhistische Mönche in prächtigen Klöstern. Hier gab es die erste buddhistische Universität. Vom alten Glanz ist heute nicht mehr viel zu spüren. Taxila ist

heute nicht mehr als eine blasse Ansiedlung. Ich verlasse die viel befahrene Straße zwischen Rawalpindi und Peshawar.


Die Landschaft ist noch vollkommen flach. Es fällt mir schwer, zu glauben, dass mich gar nicht so viele Kilometer von Bergen trennen, die zu den höchsten der Welt gehören. Der Verkehr lässt stark nach. Und schon bald ahne ich, was da auf mich zu kommt. Die ersten Steigungen machen das Fahren anstrengender. Aber noch viel belastender sind die dicken Rauchschwaden, in denen ich wieder versinke. Lkw's schlängeln sich mit mir den Highway entlang. Stinkende Transporter sind an die Stelle der Kamelkarawanen getreten, die früher hier lang zogen. Jährlich bringen unzählige pakistanische Konvois Zigaretten, Trockenfrüchte, Stoffe und viele

andere Waren nach China. Im Gegenzug bringen die Chinesen Fahrräder, Baumwolle, Elektrogeräte und natürlich Tee nach Pakistan.



Kunst auf Rädern. Auch wenn sie die Luft zum Atmen nehmen _ diese Lkw's sind faszinierend. Sie sind nicht nur bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit und entgegen aller statischen Gesetze mit Waren beladen, sondern auch mit Bildern und Ornamenten. Die Lastwagen-Malerei ist ein bedeutender Zweig der Volkskunst Pakistans. Jeder Wagen für sich ist ein Kunstwerk. Die Heckaufbauten - hoch über das Führerhaus gezogen _ sind alle reich verziert. Die Holzaufbauten mit bunten Blechen beschlagen. Und zwar so dicht, dass man nichts mehr vom Holz sieht. Auch die Felgen haben es in sich, die begeistern mich allerdings weniger. Sie sind mit nach außen ragenden Metallplatten versehen. Damit sehen die Lkw's aus wie römische Streitwagen und in Gedanken sehe ich bereits einen Lkw meine Gepäcktaschen aufschlitzen, während er mich überholt. Im Moment brauche ich jedoch noch keine Angst zu haben. Denn es geht kontinuierlich bergauf und die Lkw's sind keinesfalls schneller als ich.

Endlich habe ich zum ersten Mal auf meiner Reise dieses gute Gefühl, oben zu sein. Auf dem Pass blase ich zur Attacke und donnere mit einem Affenzahn wieder hinunter. In waghalsigen Manövern überhole ich einen Lkw nach dem Nächsten. Einem der Fahrer gefällt es gar nicht, dass ein Radfahrer ihn abzuhängen droht. Er gibt Gas. Ich auch. Kurz vor einer Kurve bremst er ab und ich schieße an ihm vorbei. Ich freue mich


schon über meinen Sieg", als ich merke, warum der Fahrer wohl gebremst hat. Mein Tempo ist für diese Kurve viel zu hoch. Zu allem Überfluss ist der Straßenbelag sehr schmutzig, mein Hinterrad bricht aus. Selbst das Vorderrad rutscht ein wenig, aber es bleibt in der Vertikalen. Von vorne sehe ich einen dieser reichhaltig verzierten Trucks auf mich zu kommen. Das war es dann wohl" _ denke ich noch. Doch der Lkw-Fahrer reagiert schnell und fährt auf den Seitenstreifen. Mein Hinterteil rutscht nur knappe 10 cm am Vorderrad des Lkw's vorbei, wo ich fast an den schon erwähnten Verzierungen hängen bleibe. Ich halte an, um meine zitternden Knie zu beruhigen. Beinahe wäre meine eben erst begonnene Reise hier schon zu Ende gewesen.

Das nächste Unglück lässt nicht lange auf sich warten. Einer der Fahrer überholt mich und achtet dabei nur auf mich und nicht mehr auf die Straße. Nur im allerletzten Moment kann der Fahrer des entgegenkommenden Wagens sein Lenkrad herum reißen und in den Graben ausweichen. Wieder fehlen nur Zentimeter. Wenn ich auch meinen Helm vergessen habe _ meinen Schutzengel habe ich offensichtlich dabei.

  • Herzlich Willkommen bei den
  • LKW-Fahrern